Camera Lucida

Den Geheimnissen auf der Spur

von Thomas Linden
Kölnische Rundschau, 12. November 2019


Der Schrank wandert.

Schon auf den ersten Blick sieht man, dass er schwebt - jedenfalls befindet sich ein Sockel aus Licht unter seinen vier hölzernen Füßen. Er scheint schon älter zu sein, im Halbdunkel des Bunker 101 ist das nicht genau zu erkennen. Er besitzt eine enorme Tiefe und schein nur so geladen mit weißem Licht, das von innen durch Ritzen des Holz nach außen dringt.

„Camera Lucida“ nennt Yoshie Shibahara diese poetische Installation, die tatsächlich Bilder produziert. An den Wänden des Bunker taucht ein blutroter Faden auf, Blumen sind zu sehen und ein roter Apfel, der in eine Frauenhand schnellt. Das Publikum ist gezwungen, immer neue Perspektiven zu diesem mächtigen Objekt einzunehmen, das sich plötzlich in Bewegung setzt und sich durch Flure und Räume des Bunkers bewegt. Ja gegen Ende beginnt es sogar zu den Klängen von Popmusik zu tanzen.

An der Seite des Lichtkünstlers Egbert Mittelstädt und der Musikerin Susanne Kubelka gelingt der in Köln lebenden Japanerin Yoshie Shibahara ein zauberhaftes Vexierspiel, während sie sich für die Betrachter unsichtbar in Innern des Möbels aufhält. Ihre Bilder erinnern an die zart-verschwommenen Fotografien der Camera Obscura, und der Schrank, in dem der hellerste aller Sterne gefangen zu sein scheint, erzeugt Erinnerungen an den leisen Horror der Gothic Novel.

Zugleich stülpt dieses große optische Gerät die Dunkelheit nach außen in den Bunker, so dass sich alle Besucher in einem großen Schrank fühlen dürfen. Humor und ästhetische Reflexion kreuzen sich bei Yoshie Shibahara zu einem erstaunlichen Kunsterlebnis.



Camera Lucida

Unergründliches Schrankwesen in Ehrenfeld

von Melanie Suchy
Kölner Stadt-Anzeiger, 27. Oktober 2019


Während dieser Performance fallen einem die Hikkikomori ein, Menschen, die sich einbunkern und das Internet für Lebensraum halten. Die japanische Choreografin und Tänzerin Yoshie Shibahara sperrt sich gar in einen Schrank; und diesen in einen Bunker. Ihr Solo „Camara Lucida“ ist im Bunker k101 in Ehrenfeld wunderbar aufgehoben, weil es dessen Enge und Kühle in Raum mit Auslauf verwandelt: Der Schrank treibt knarzend im Dunkeln, dann wieder scheint er auf Licht zu schweben, das auch durch die Holzritzen gleißt. Fällt es durch das ofenrohrgroße Loch mit Linse, wirft es Bilder an die Bunkerinnenwand, stülpt das Schrankinnere nach außen: eine Projektion, die wegen der Optik-Gesetze auf dem Kopf steht.

Doch erkennt man das nicht gleich, da die farbigen Gebilde, die sich scheinbar an die Bunkerwand schmiegen, gleichzeitig nach oben und unten ziehen. Manchmal erklingen zarte Töne – Gesang, Geklingel von Susanne Kubelka –, die changieren zwischen live und konserviert. Zwar strapaziert das Umsortieren von Objekten, Kleidern, knisternder Goldfolie zuweilen die Geduld, doch passt dieser Freilauf gut zu dem unergründlichen Schrankwesen.



Terahertz

Die Gefahr, die hinter der Schönheit lauert

von Thomas Linden
Kölnisch Rundschau, 27. Februar 2016


Das Trio Periscop zeigt in der Orangerie seine Installation „Terahertz“

Die Strahlung der drahtlosen Geräte überdeckt den Erdball mit unzähligen Wellen. Niemand weiß, ob sie für uns schädlich sind. Aber Schönheit ist ihnen zu eigenen. Das wissen wir, nachdem und das Künstlertrio Periskop in seiner Performativen Installation „Terahertz“ die Möglichkeit geboten hat, diese Wellen wahrzunehmen.

Voller Kabel hängt die Orangerie des Volksgartens. Die Schatten der Kabelstränge wirken wie ein Dicht aus Asten, in dem Yoshie Shibahara mit schwarzer Kapuze und einem langen Stecken umherwandert. Aus der Entfernung erinnert sie an den Tod mit deiner Sichel, von Nahem erinnert sie an hingegen einem Lampenanzünder. Wo sie den Stecken führt, beginnen Lichter zu entflammen. Tausende Lichtpunkte steigen gleich einem Schwarm von Glühwürmchen zu Dach hinauf.

Die Tänzerin arbeitet mit ihren alten Weggefährten zusammen. Egbert Mittelstädt lässt uns sie Wellenerscheinungen stehen, und Achim Mohne liefert die akustische Wahrnehmung. Was zunächst ganz zart beginnt, endet nach einer Stunde in einem visuellakustischen Gewitter aus Lichtcodes und einem Rauschen. Knacken und Brummen.

Etwas freundliches, Lebesfrohes geht von dieser Installation aus. Erst gegen Ende kommt eine Ahnung möglicher Bedrohungen auf. Technik wird nicht verteufelt, aber auch nicht bewundert. Man spielt mit ihr, horcht konzentriert auf die Signale und Lichtbilder. Dass uns die Schönheit der Wellen über ihre Gefahren täuschen kann, ist durchaus möglich. Ein Aspekt, der nicht ausgeschlossen wird von diesem multimedialen Kunstwerk, das mit der Poesie seiner subtilen Vielgestaltigkeit niemanden kalt lässt.



Interview

FREI - ABER WOFÜR?

Protokolliert: Ronny Weimann,
Theatermacher der Stadt # 6, stadtrevue, August 2014


T-Shirts trage ich in meiner Größe. Auf einer großen Bühne zu inszenieren, wäre wohl XXL, ich habe aber XXS. Größer ist nicht unbedingt besser. Kunst zu machen, wo ich will, das macht den Reiz der Freien Szene für mich aus. Mich reizen Orte. die früher etwas anderes waren als Theaterraum: wie Wachsfabrik in Köln. In meinen Stücken möchte ich Welten entstehen lassen, die auch vom Raum getragen werden. Eine Abstellkammer in der Ecke oder eine Treppe im Hintergrund kann die Geschichte vollkommen verändern.

Atmosphäre statt due Tanzschritte in den Mittelpunkt zu rücken, diese Ästhetik hat allerdings mit meiner Kindheitsvorstellung von Tanz nicht mehr zu tun. Als ich klein war, habe ich Choreografien aus dem japanischen Fernsehen nachgetanzt. Der japanischen Provinz entflohen habe ich später in Osaka Modern Dance, Hip-Hop und Ballett gelernt. Aber ständig lächeln und etwas Nachtanzen zu müssen, hat mich gestört. Auch Zwischenstationen in New York haben meine Idee von Tanz enttäuscht. Eine Wahrsagerin - dahin zu gehen, ist für junge Japanerinnen ganz normal - hat mir dann geflüstert, ich solle besser Choreografin statt Tänzerin in einer Gruppe werden. Lustig, dass es jetzt so ist.

Vor über 16 Jahren bin ich dann nach Deutschland gekommen, für das Aufbaustudium „Tanztherapie“ an der Deutschen Sporthochschule Köln. Da das aber gerade abgeschafft wurde, habe ich Kurse im „Elementareren Tanz“ besucht. Diese Form der Improvisation, die frei von Trends, Alters- oder Geschlechterkonventionen ist, war der Grundstein für meine Arbeit als Choreografin. Das typisch japanische Tanzkorsett habe ich abgelegt, Wenn der Körper frei ist, wird auch der Geist frei. Ein Stück dieser Freiheit möchte ich meiner Heimatstadt Shimane zurückgeben. Mit dem Projekt „heimArt“ will ich im nächsten Jahr mit zwei befreundeten japanischen Künstlern dem Kulturleben dort Impulse geben, das sonst fast nur in Tokyo stattfindet. Endlich passt mein XXS-Shirt in meiner neuen und alten Heimat.



Fringe

HINTER DER DINGEN

von Klaus Keil, AKT. 52, April 2014

Hohe Installations- und Performancekunst im Orangerie Theater: Yoshie Shibahara öffnet mit der surreal anmutenden Performance „Fringe“ den Blick auf reale Widersprüche.

Der Eingang zu „Fringe“ von Yoshie Shibahara ist Eintritt in eine andere Welt. Durch eine frei stehende Schranktür betritt man den Raum. Hier gelten andere Maßstäbe. Hier hängen sie Türen in die Luft. In welche Tiefen (oder Höhen) der innen Welt mögen sie führen? Kontaktversuche dorthin gibt es jedenfalls reichlich. Shibahara wirft Briefchen und Nachrichten durch die Ritzen der Lamellentüren. Später zieht sie eine Briefrollen gar durch einen Lampenschirm un „durchleuchtet“ das Papier, als suche sie eine verschlüsselte Botschaft.

Wer aufmerksam folgt, hat den subtilen Hinweise schon längst verstanden: nur dir Blick unter der Dinge bringt Erkenntnis. Ein Kleiderschrank dessen Türen ins Nichts führen und ein exsistenzschluckender Schreibtisch bilden das Interieur. Mit absurden Verrichtungen täuscht Shibahara Aktivität und exisztenzielle Berechtigung vor. Mal hockt sie am, mal auf dem Schreibtisch. Dann zieht sie langsam an einem Deckenkabel, bis man bemerkt, dass damit eine Glühbirne mitten im Raum nach Oben oben gezogen wird.

Nichts funktioniert hier nach den anerkennten Regeln des allgemeinen Umgangs mit Dingen. Die reale Welt wird zum Vexierspiel, bei dem etwas Bestimmtes gezeigt, aber etwas anders gemeint ist. Kleine Gegenstände werden von einer Lampe durchs Licht gezogen, deren Schatten wie groß und manchmal bedrohlich machen: Wolken, Urzeittiere, Sterne, Planeten. Der Rand des Universums scheint nah. Im gedimmten Raumlicht durchschreitet Shibahara ihre Installation, als inspiziere sie den Raum und die Dinge auf ihre ambivalenten Möglichkeiten. Ihre Handlung wirkt distanziert, aver bestimmt, ihre Handlungen scheinen sorgfältig überlegt, sind inhaltlich aber widersprüchlich.

Die Strenge steht in frappantem Gegensatz zur Absurdität der Situation. Sie kauert mittig im Raum, bewegt sich wie von unsichtbarer Hand gezogen rückwärts auf den Schreibtisch zu. Im Dämmerlicht kaum wahrnehmbar, verschwinden zuerst ihre Beine, dann der ganze Körper im Schreibtisch - der sie plötzlich ganz verschluckt. Ein Sinnbild für die uns auffressende Arbeit? Dann wieder geht sie, stoppt hinter einem Spiegel, der die suchenden Bewegungen ihre Hände Arme scheinbar an die Wand reflektiert. Erst beim zweiten Blick erkennt man, dass die gespiegelte Gestik nicht mit der real ausgeführten überein stimmt.

Es sind sinnlich wirkende Bewegungen ohne erkennbaren Sinn, die auf eine subtile Rekonstruktion der sichtbaren Realität gerichtet sind. Was sich bereits in Shibaharas tanzpreisgekrönter Performance „EXUVIAE“ andeutet, setzt sie ein „Fringe“ noch konsequenter fort: ein großartiges Environments der Nachdenklichkeit, das zum Blick hinter die Dinge auffordert. Mit subtilem Humor kreiert sie eine geradezu kafkaeske Welt volle absurder Verrichtungen, die Von den sphärischen Klängen von Achim Mohne noch zusätzlich verfremdet werden. „Fringe“ ist hohe Installationskunst und große performative Praxis.



Fringe

Erleben, aber nicht verstehen

von Thomas Linden
Kölnische Rundschau, Februar 2014


Yoshie Shibahara zeigt ihre neue Produktion „Fringe“

Alle Besucher schreiten durch eine frei stehende Türen in der Orangerie. Erst wenn man deren hohe Schwelle überschritten hat, ist men Teil der verwunschenen Welt, in die Yoshie Shibahara einlädt. „Fringe“ ist die Nachfolgeproduktion von „EXUVIAE“, für die Shibahara mit dem Kölner Tanzpreis ausgezeichnet wurde. Und „Fringe“ präsentiert sich nun als eine kunstvoll arrangierte Performance, in der Shibahara selbst agiert.

Abgewandt vom Publikum sitzt sie an einem Tisch und schreibt, später verschwindet sie in einem Schrank oder bewegt sich auf einer Projektion gleitend über die Wände.

Die märchenhafte Atmosphäre speist sich nicht alleine aus rätselhaften Verrichtungen der Protagonistin, die auf hohen Schuhen durch die Zimmerflucht ihres Innenlebens schreitet. Vor allem sind es die farbig- verzerrten Bilder einer Laterna Magica - die Yoshie Shibahara selbst bedient - mi denen sich die Realität in Traumschwaden aufzulösen beginnt. Freilich lassen die feinen Licht- und Musikeffekte von Achim Mohne auch den jämmerlichen Zustand der Orangerie zutage treten, in der auch ohne Regen andauernde Wassergeräusche aus den Rohen zu hören sind und sich die Besucher angesichts der Kälte während der Vorstellung geräuschvoll in ihre Mäntel und Jacken einmummeln.

Die Performance vermag dennoch mit der Zartheit ihrer Bilder zu berühren. Yoshie Shibahara folgt konsequent ihren Visionen eines inneren Raums, der nach unbekannten Regeln organisiert ist. Sie unter sagt sich den Gebrauch psychologischer Metaphern oder erzählerischer Konventionen.

Hier gibt es nichts zu entschlüsseln, nur die geduldige Konzentration ist gefordert, mit der man durch eine konturlose Welt reist, die eben noch wie ein Aquarium anmutet und dann mit ihren Projektionen an einen Himmel erinnert, in den die Vögel scharenweise aufsteigen.

Die Bedeutung des englischen Wortes „fringe“ umfasst das „Abseitige“, das „Randständige“. Hier entspricht es einer Erfahrung poetischer Fremdheit, die erlebt, aber nicht verstanden werden will.



Timeslices

Im Zeitfluss

von Thomas Linden,
Kölnische Rundschau 2012 - „Timeslices“


Die Performance „Timeslices“ im Japanischen Kulturinstitut

Sie trägt ein rot geblümtes Kleid. das steht ihr gut, der schlanken Yoshie Shibahara, aber rechnet damit, dass sich im Verlauf der Performance „Timeslices“ der große Veranstaltungsraum des Japanischen Kulturinstituts in eine einzige Sinfonie aus roten Blumenmustern verwandeln würde.

Die drei Künstler - Egbert Mittelstädt, der mit den Konstruktion des Computerbilds betraut, Achim Mohne, der den Sound unterlegt, und Yoshie Shibahara, die sich zwischen den Bildern bewegt -zeigen eine betörende Komposition aus Farben, Formen und Geräuschen.

Das Publikum nimmt auf der Bühne des Vortragssaals im JKI Platzt und blickt hinunter in die Sitzreihen. Dort, wo sonst das Publikum sitzt, werde nun die Bildintervalle projiziert, dort beginnen die Bilder zu träumen. Sie bestehen aus eigenem Bildmaterial, zumeist Aufnahmen von Yoshie Shibahara, aber auch aus Bewegungsstudien von Eadweard Muybridge, die einen Pavian, ein Pferd, eine Taube, oder einen nachten Mann und eine nackte Frau zeigen. Zwischen die historischen Einzelbilder schiebt sich das selbstproduzierte Bildmaterial. Wie Karten, die in Inetrvallen durchmischt werden, verändern sich die Bildreihen und die Klangfolgen.

Das Einzelbild verliert seine Bedeutung, es wird zum Muster. Alle Bewegung von Bildern und Aktionen der Tänzerin sind in Auflösung begriffen, jeder Zustand ist schon während man ihn wahrnimmt in einen Prozess der Veränderung ein gebunden. Letztlich befinden sich Bild, Klang und Bewegung immer wieder in Zwischenzuständen, kommen irgendwo her, gehen irgendwo hin. Ein kunstvolles Spiel mit einer überraschenden Farbigkeit und Grazie gelingt dem Trio. Zeit und Form werden im Verlauf der Performance aufgehoben.

Ein Erlebnis, das Malerei, Tanz und Musik zugleich herausfordert und subtil unser Verständnis von Bildkompositionen in Frage stellt.



Künstlerinnenpreis NRW 2012 im Bereich Freie Szene der Darstellende Künste

Laudatio

von Graziela Padilla, Oktober 2012

1972 in Izumo, einem kleinen, ländlichen Ort im Südwesten Japans, geboren, verspürst schon als Kind den Wunsch zu tanzen. Viel hattest Du davon nicht gesehen: etwas Volkstanz im nahen Shinto-Schrein und das allgegenwärtige Fernseh-Ballett am Bildschirm; aber das wenige genügt. Deine schüchterne Frage, ob Du Tanz lernen darfst, ruft bei deiner Mutter kein Verständnis, geschweige denn Zustimmung hervor. Dies sei Mädchen aus reichen, edlen Familien vorbehalten. So bleibt Dir für lange Zeit nur die Heimlichkeit.

Mit kindlicher Begeisterung lernst Du im Verborgenen die gerade in Mode gekommenen Choreografien der Jugend aus dem Fernsehen. Als nächstes bemühst Du Dich, in einem Fitnessstudio, Jazz-Ballett zu lernen. Später kommst Du durch dein Studium der Germanistik nach Osaka, einer Großstadt mit vielfältigem Tanz- Angebot. Beflügelt lernst Du diverse Tanztechniken kennen und schaffst es sogar, bei einer kommerziellen Agentur als dauerlächelnde Hintergrundtänzerin gelegentlich etwas Geld zu verdienen. Auch in einem neuen Tanz-Studio profilieren Du Dich als eine Tänzerin, die ständige vorgetanzte Bewegungen vor dem Spiegel schnell nachahmen kann.

Deine anfängliche Tanz-Freude macht einer zunehmenden Frustration Platz. Viele Fragen peinigen Dich: Warum gerade diese Bewegung zu der Musik? Muss man immer die Beine hoch werfen? Ist denn so viel Technik nötig? Darf man, wenn man alt ist, nicht mehr tanzen? Ab wann werden Bewegungen zum Tanz und dürfen als solche benannt werden?

Nach abgeschlossenem Germanistik-Studium und immer noch auf der Suche, kam die vermeintlich rettende Idee - New York - das Mekka des Modernen Tanzes! Drei Mal bist Du dorthin gepilgert und drei Mal war es eine Enttäuschung. Inzwischen 24 Jahre alt geworden, konsultierst Du ratsuchend eine Wahrsagerin, ein in Japan nicht ungewöhnlicher Gang. Deine Fragestellung ist klar: Was bleibt Dir als Möglichkeit, wenn eine professionelle Laufbahn als Tänzerin ausgeschlossen und eine pädagogische nicht angestrebt wird? Ihre klare Antwort ist: Choreografin. Kaum vorstellbar für Dich, wenn schon eine professionelle Tänzerin zu werden, so mühselig erscheint.

Mit 25 Jahren und überzeugt davon, dass dein Tanztraum eine Chimäre ist, nimmst Du Kurs auf Deutschland - ein alter Wunsch von Dir. In Berlin angekommen und getrieben von Bewegungslust, besuchst Du ein Tanz-Studio und erlebst eine große Überraschung: Im Saal ist kein Spiegel und die Leute improvisieren! Der erklärende Prospekt über Tanztherapie gibt Dir neue Hoffnung und führt zu dem Entschluss, Tanztherapie zu studieren. So landest Du, durch eine falsche Information geleitet aber vom Schicksal gelenkt, an der Deutschen Sporthochschule in Köln.

Dort findest Du zwar keinen Studienzweig Tanztherapie, dafür aber Elementarer Tanz und Bewegungstheater, zwei Schwerpunktfächer aus dem musischen Bereich. Und da ist es endlich, was Du über viele Jahre gesucht hast: Tanz als individuelle Äusserung ohne einengende vorgeschriebene Muster, unabhängig von Alter, Geschlecht und Technik. Du bist fasziniert, dabei ist das Leben in Köln und an der DSHS gewiss nicht leicht - Sprachschwierigkeiten, unendliche Behördenwege, wenig Geld und das quälende Gefühl, im Land nicht erwünscht zu sein.

Du erscheinst in meinem Unterricht so wie viele deiner Landsleute zuvor: Höflich, zurückhaltend und hoch aufmerksam. Verständlich, dass die mangelnde Sprache kompensiert werden muss, aber es ist mehr als das: Es verbirgt sich darin die unerhörte Befähigung deines Kulturkreises, sich zu sammeln, sich zu vertiefen und dadurch eine große Intensität zu mobilisieren. Nach den ersten skizzenhaften Tanz-Gestaltungen kristallisiert sich bald deine eigenwillige choreographische Hand heraus.

Die Phänomene der Reduktion und Abstraktion sind tragende Säulen der japanischen Kultur. Einfachheit und erfüllte Leere gelten seit Jahrhunderten als zentrale Gestaltungsprinzipien. Du hast sie in Dir getragen Yoshie, verborgen zwar, aber Dich immer bestimmend. Diese Prinzipien sind in deine Choreographien eingeflossen, und wir empfangen sie durch deine Bilder. So bekommt dein Gastland und seine Menschen etwas von dem Reichtum, den jedes seiner 'Gastkinder' in sich trägt.

In einer relativ kurzen Zeitspanne profiliert sich die unverwechselbare Choreographin Yoshie Shibahara in Köln. Bereits ihr erste abendfüllendes Programm erhält den Kölner Tanztheater-Preis. Die großartigen, reifen Gestaltungen umfassen unterschiedliche künstlerische Ausdrucksformen und bedienen sich einer erstaunlichen Reihe von Medien. Jedes ist ein Unikat, erwachsen aus der unermüdlichen Suche nach individueller Aussage, die sich ästhetisch immer neu erfindet. Die sorgfältig konstruierten Werke, in der die Gestik selbstgenügsam wirkt, entfalten eine kühle verführerische Ästhetik, die den Besucher einlädt, seine Wahrnehmung zu hinterfragen. Wir können gespannt sein auf Yoshie Shibaharas nächste thematische Fragestellungen.



Künstlerinnenpreis NRW

bepreist

von Nicole Strecker
Zeitschrift tanz, November 2012


YOSHIE SHIBAHARA ist die geglückte Fusion aus westlichrespektloser Ironie und östlich-verklärender Poesie.

Die Stücke der in Japan geborenen Choreografin Locken mit der Verheißung von weiblicher Schönheit und Erotik, aber dann staksen ihre japanischen Popgirls wie extraterrestrische Science-Fiction-Vamps oder elfenhafte Fantasie-Kreaturen so lange auf der Stelle herum, bis von Zauber nur die abstrakte Chiffre bleibt.

Für diese aufregende Mischung und ihre Liebe zur Reduktion, für spöttisches, auch subtil-feministische Spiel mit westlichen (Asien-)Traumbildern wird Shibahara nun mit dem Förderpreis des Künstlerinnenpreises des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet.



Künstlerinnenpreis NRW 2012 im Bereich Freie Szene der Darstellende Künste

Aus der Jurybegründung

Jury: Gerit Christiani, Milena Cairo, Barbara Kantel, Henrike Kollmar, Dorothea Marcus, Sophia New, Christina-Maria Purkert, Jutta Maria Staerk

Ihre klare Ästhetik ist geprägt von einer starken Visualität und einer choreografischen Ironie mit der sie Bewegung in Szene setzt. Ihre Arbeiten weisen Strenge und Leichtigkeit zugleich auf – eine rare Kombination bei Choreografinnen und Performerinnen.

Shibahara findet für jede ihrer Inszenierungen ungewöhnliche Bühnenbilder und Klangwelten und überschreitet in immer neuer Form die Genregrenzen.

Als Performerin besticht sie durch Reduktion und Abstraktion, sie setzt Gesten und emotionalen Ausdruck sparsam und präzise ein. Der Förderpreis soll der Choreografin und Performerin helfen, künstlerisch einen Schritt über Köln hinaus zu tun.



EXUVIAE

Laudatio Kölner Tanztheaterpreis 2012

von Melanie Suchy, 26.11.2012

„Exuviae“ von Yoshie Shibahara spielt mit Schatten, Tönen, Licht, mit Erscheinungen, mit Resten von Körperlichkeit, tatsächlich auch mit „Haut“. Denn Exuviae sind Hüllen, abgelegte Häute von Insekten oder Reptilien. Diese hier sind aus leicht knittriger ordinärer Alufolie, haben grobe menschliche Gestalt und Größe, ohne Füße und Hände, aber mit Nasen, also Blickrichtungen. An Fäden hängen sie von der Decke. Sie schwanken hohl und leise, wenn die Zuschauer zwischen ihnen hindurchgehen. Sie vermeiden Berührungen, vielleicht weil die Gebilde Skulpturen sind, also Kunst, also Anfassen verboten. Die Performance dann beginnt im Dunkeln und in Stille. Die Exuviae sind nur noch Schemen; doch weil man die zehn Zentimeter Schwebelücke zwischen Gestalt und Boden nicht mehr sieht, wirken sie menschlicher als vorher. Ein zeremonielles Treffen von Schweigern, die man hier beobachtet. Oder belauern sie uns?

Yoshie Shibahara gibt den Dingen auf ihre behutsame Weise viel Zeit. Viel Luft. Sie selbst betritt den Raum auf klackernden Schuhen und im schwarzen Kostümchen. Sie schiebt Dienst. Ist zuständig für diese schwerelose Versammlung von Toten oder Kunstobjekten oder in der Luft verbuddelten Kriegern. Mit der Taschenlampe geht sie auf Inspektion, später auch mit einem Zähler; verbringt die Zeit mit Lesen an einem Tischchen, checkt zwischendurch ihr Handy oder klappert am Waschbecken nebenan und holt sich eine Thermoskanne Tee. Ohne dass sie es zu sehr ausreizt, ist das schön platt alltäglich, down to earth, und setzt geschickt und humorvoll einen Kontrast zu den hängenden Gesellen, zwischen denen auch noch eine schwarze Figur mit antennenartigen Fingern herum schlängelt, der Tänzer Yoshihiro Shimomura, ein unbehauster Geist; dazu pochen und wehen spukhafte Klänge (Hannes Hoelzl) aus allen möglichen Richtungen, und versetzen den Raum in Spannung. Die Aufseherin hört und sieht nichts davon, so scheint es. Sie streicht gleichmütig eine abgehängte Figur platt, bügelt, faltet, räumt das Päckchen weg. Dass unsereins Gespenster sieht, liegt an der Theatererwartung, der Lust an luftiger Fantasie, an schwebenden Gedanken, was uns zu Kumpanen der Exuviae macht. Deshalb zählt die Wärterin uns am Ende mit ab.

Seit zehn Jahren ist Yoshie Shibahara,die in Japan und in Köln studierte, hier als freischaffende Choreografin tätig, stets mit einem besonderen Blick auf Räume und Zwischenzustände. Schon einmal, 2004, hat sie den Kölner Tanztheaterpreis gewonnen und kürzlich den Künstlerinnenpreis des Landes Nordrhein-Westfalen im Bereich Freie Darstellende Künste. „Exuviae“ hat die Jury überzeugt, weil sie mit den sehr zeitgemäßen Themen Wahrnehmung und Kunstbetrieb ein freundlich verschmitztes Spiel treibt, das originell ist und keinen besserwisserischen sondern einen einladenden Gestus pflegt.



EXUVIAE

GLANZ HOHLER SCHÖNHEIT

von Christina-Maria Purkert, AKT.31 März 12

Yoshie Shibaharas Rauminstallation und Performance “Exuviae“ in der Orangerie betört mit einer Heerschar schwebender Figuren aus Aluminiumfolie und einem Tänzer als schwarzem Schatten. Minimalistisch im Einsatz von Bewegung, Licht und Klang, entsteht eine Atmosphäre zwischen Glanz und tiefster Finsternis, die viel Raum für Assoziationen lässt.

Exuviae- so belehrt das Programmheft - bezeichnet die abgeworfene Haut von Repitilien. Ansonsten versteht der Lateiner daunter noch das abgelegte Hemd, die Beute, die leere Hülle. Zu sehen ist davon reichlich - an Fäden hängen leere Hüllen von der Decke. 56 Figuren aus silberner Aluminiumfolie, deren Körperform an Schokonikoläuse erinnert, nur dass die runden Köpfe eine Nase haben. Ihre streng symmetrische Anordnung lässt zunächst an die Müllmann-Insatllation HA Schuls au dem Roncalliplatz oder chinesische Terrakottaarmeen denken. Doch der Luftzug lässt dich die Figuren leicht schwanken und drehen. das nimmt ihnen das Militärische: sie scheinen in Momenten nur Teil des plaudernden Ausstellungspublikums zu sein. Denn zunächst gilt, sich selbst zwischen den Hüllen zu bewegen. Mit Glas in der Hand hat das etwas Heiteres und doch wagt niemand, die Figuren zu berühren.

Die Anordnung der glitzernden Geister vermittelt auch das Gefühl, durch eine Gedankenstätte zu schreiten. In dieser raffinierten Schwebe hält Yoshie Shibahara auch ihre Performance mit dem erst seit einem Jahr in Deutschland lebenden Butohtänzer Yoshihiro Shimomura. Nachdem das Publikum aus der Installation gebeten und der raum verdunkelt wurde, ahnt man ihn zunächst nur. Als schwarzer Schatten erkundet er lautlos die hintersten Reihen.

Dunkelheit und Stille sind eine Herausforderung für die Wahrnehmung und Gelegenheit, den Moment der Ruhe zu genießen. Sehr langsam, wie wie im japanischen Butoh üblich, entwickelt sich die Aktion. Musik klopft metalisch an, Licht scheint warm und weich auf, ein Arm recht sich in die Höhe. Shimomura füllt die Leerräume mit übergangslos fließenden, organischen Gesten des Butoh. Er wird zum blühenden Leben, seine Hände wachsen wie eine Blüte einer der Hüllen über den Kopf, er sinkt zusammen, als wolle er sein Leben aushauchen.

Verstärkt wird das von Hannes Hoelzels Komposition, die von kleinen Klopfzeichnen bis zu größen Stürmen reicht. Shibahara dagegen entzaubert den magischen Raum, in dem es um Werden und Vergehen, Leben und Tod zu gehen scheint, immer wider der Banalität des Ordentlichen: als strenge Museumaufsehrin stöckelt sie auf Highheels im Businesskostüm herum, um Figuren zu recht zu rücken. Einmal bügelt sie eine zerknautscht Figur glatt und macht sie wieder zu Ausgangsmaterial. Dazwischen sitzt sie mit Thermoskanne, Chips und Buch gelangweilt am Rand. Nicht jeder mag die Ausstellung als Auseinandersetzung mit Gedankkultur gesehen haben. Dennoch „EXUVIAE“ ist eine starke Arbeit, die mehr als eine Aufführungswochenende verdient.



EXUVIAE

IM GEHEIMNISVOLLEN SILBERWALD

von Thomas Linden, Auszug Zeitschrift choises, Tanz in NRW 02/12

Subtile Ironie: Yoshie Shibahara Choreografie „EXUVIAE“

„Exuviae“ ist das lateinische Wort für eine abgelegte Tierhaut oder für eine leere Hülle. Die Orangerie des Volksgartens hängt voller lebensgroßer silberner Gestalten. Aus wechselden Perspektiven wirken sie wie Puppen oder chinesische Krieger in Reih und Glied, oder wie eine dichte Menschenmenge. Tatsächlich beginnen sich diese Hüllen aus Staniol zu verändern, nachdem das Licht erloschen ist.

Die in Köln lebende japanische Choreografin Yoshie Shibahara ist immer für eine ästhetische Überraschung gut. So auch diesmal, denn während sie silbernen Hüllen der Installation leise im Wind schwingen, agiert der Butoh-Tänzer Yoshihiro shimomura zwischen ihnen und bringt Unruhe in die Gestalten.

Zugleich ironisiert Yoshie Shibahara das geheimnisvolle Treiben im Silberwald, indem sie gleich einer Museumswärterin die Aufsicht führt oder am Katheder aus der Thermoskanne Tee trinkt und Chips knabbert. Die faszinierende Kontemplation, die der Tänzer zwischen den Figuren im Raum erzeugt und mit der er im gleitenden Fluss der Bewegung das Zeitgefühl auszulösen scheint, ironisiert Shibahara mit entwaffnender Taktikraft.

Die Musik von Hannes Hoelzl, die wohltuend frei von bekannten Klangbildern bleibt, und die dezent-poetische Lichtdramatrugie von Wolfgang Pütz runden die Performance perfekt ab. Weihevolle Esoterik kann sich gar nicht erst entfalten. So nimmt sich Yoshie Shibahara eine der Gestalten vor und bügelt sie vor aller Augen platt, um sie anschließend wie ein Wäschestück zusammenzufalten.

Diese Performance zeigt eine subtile Ironie, die in der Tanzszene ihresgleichen sucht. Augenzwinkernd demonstriert die Japanerin, wie sich die abendländischen Gegensätze von Innen und Außen auflösen. Innerlichkeit wird hier angedeutet, um dann wieder als Chimäre entlarvt zu werden. Oberfläche scheint banal und lädt sich dann doch mit beziehungsreicher Sensibilität auf. „Exuviae“ erweist sich als ein Kunstwerk, in dem die Japanerin den ganzen Reichtum ihres kulturellen Hintergrundes einbringt, um essenzielle abendländische Vorstellungen vom menschlichen Sein humorvoll zu reflektieren. Ein überaus fruchtbarer Dialog der Kulturen, den Yoshie Shibahara zu entzünden vermag. Es gibt nur wenige Künstler, die über eine solch komplex entwickelte Ästhetik verfügen.



Interview

Erspüren statt erklären

von Thomas Linden
Künstler über die Grenzen, Kölnische Rundschau, 19. August. 2011


Zarte Kunst: Die japanische Choreografin Yoshie Shibahara

Yoshie Shibahara war gerade mit Einkaufen beschäftigt, als das Beben einsetzte. „Ich habe kaum etwas gespürt, aber als ich zuhause den Fernseher anschaltete, waren alle Kanäle voll von den Nachrichten über den Tsunami“ erinnerte sie sich. Seit 1998 lebt die Choreografin in Köln, zufällig war sie 11. März in ihrem Heimatdorf in der Provinz Shimane im Südwesten von Japan, als die Tragödie im Nordosten geschah. Als bei Ihre Rückreise am Flughafen in das Chaos der Touristen geriet, die alle gleichzeitig das Land verlassen wollen, holte die Katastrophe sie ein.

Erst in Köln jedoch spürte sie die Wucht der seelischen Verheerung, die das Erdbeben in ihr ausgelöst hatte. Ich führte mich so ohnmächtig und verletzt, weil ich nichts Nützliches tun konnte. Meine Arbeit ist die Kunst und das ist wohl das Letzte, was man in so einer Situation braucht.“ sagt sie. Und es drängte sich ihr nach Frage auf: „Wer hätte nach mir gesucht, wenn das Gleiche hier geschehen wäre?“

Von der Einsamkeit in der Fremde spricht die Japanerin ganz offen. „Ich musste mich ein zweites Mal dafür entscheiden in Köln zu leben. Aber wäre ich nicht hierher gekommen an die Sporthochschule, wäre ich nicht Choreografin geworden. Ich muss mich auf das konzentrieren, was mich am besten kann“, resultiert Yoshie Shibahara.

Als sie vor 13 Jahren nach Köln kam, wollte sie aus dem engen Kreis der Familie und dem Dorf ausbrechen, in dem sie aufgewachsen war. Großartige Choreografien hat die 33-Jährige in Deutschland seither gezeigt. Sie gewann 2004 den Kölner Tanzpreis, erarbeitet mit dem Musiker Matthias Mainz die unerhört intensive gestaltete Inszenierung „KOGAKURE“. In der von Paul Böhm gestalteten Kirche St. Theodor in Köln-Vingst lieferte sie mit „images volubiles“ eine wundbar zarte Installation, die Klang und Bild miteinander verschränkte.

Aufsehen erregte auch ihre zu letzte mit dem POGOensemble entwickelte Inszenierung „Silly Putty“, die als Kölner Produktion im Rahmen des Festival tanz nrw wurde.

Worin unterscheidet sich für die Japanerin das Kunstverständnis in Ost und West? „In Deutschland muss alles erklärt und formuliert werden. Japaner wollen Dinge spüren, ohne dass sie artikuliert werden müssen“, antwortet Yoshie Shibahara. Ihr ist wichtig, dass sie Zuschauer eigene Vorstellungen zu dem entwickeln können, was sie auf der Bühne zeigt. Tatsächlich agiert die Japanerin in ihren Arbeiten sehr zurückgenommen. Sie öffnet den Raum für die Fantasie, entwickelt im Spiel von Licht, Klang und Bewegung jedoch eine hohe Intensität.

Ihre neue Produktion trägt den Titel „Exuviae“ und bezeichnet sich auf die Häutungen der Raupen. Die Haut und ihre Funktion als durchlässige Grenze ist aber nur ein Aspekt von der Vorstellung des Menschen und speziell des Tänzers „als einen Gefäß, gefüllt mit Imagination. Diese Imaginationen bewegen un führen den Körper“. erklärt sie. Das Verhältnis von Oberfläche und Inhalt taucht dabei oft in der Arbeit der Japanerin auf, sie versteht es mit großer Reife aus bekannten Phänomenen neue Inspiration zu zünden.

Yoshie Shibahara gehört zu den interessantesten Choreografinnen der Kölner Tanzszene.



Silly Putty

WIE EIN FILM VON DAVID LYNCH

von Dorothe AKT.17, November 2010- „Silly Putty“

„Silly Putty“ von POGOensemble und Yoshie Shibahara in der Wacksfabrik

„Silly Putty“ heißt auf deutsch so etwas wie „denkende“ oder „intelligente“ Knete, steht bei Wikipedia - eine Art industriell hergestelltes Silikonplastik, das springt, wenn es auch eine harte Fläche geworfen wird, aber auch fließt und bei einem harten Stoß zerbrechen kann - ein schönes Bild für Tanz.

Die beiden statuenhaften Frauen, die fern von Zuschauern auf der Wachsfabrik- Bühne stehen und liegen, könnten ebenfalls Knetfiguren sein. Fließend und weich bewegt sich die eine weg eingesogen von der geheimnisvollen Tür an der hintern Wand wie von einem futuristischen Kraftzentrum, es könnte auch ein Raumschiff sein. Dann erhebt sich bedrohlich das elektronisch hallende Rauschen der Musik.

Knete hat des Ensemble die Choreografie von Yoshie Shibaghara und dem POGOensemble genannt, weil die Tänzerinnen, die von knapp zehn Jahren an der Sporthochschule Köln studiert haben, nun erstmals zusammenarbeiten. Und tatsächlich fügt sich „Silly Putty“ zu einer dichten, homogenen Arbeit, dunkel und unheimlich wie ein Film von David Lynch. Erst zwei, dann fünf Frauen bilden eine organische Masse.

In einer Kreisförmigen Gruppe pflügen sie durch den Raum der Wachsfabrik, wie ein einziges Tier. Ein Fünfköpfiger, der immer wieder das rechte Bein nach hinten aussteckt, rhythmisch und wiederkehrend. Es ist eine Art fließender, eintönig langsamer Michael Jackson-Moonwalk-Schritt, von Breakdance abgeguckt, bei dem man auf der Stelle tritt und nie den Boden verlässt. Man hört das gleichmäßige Streichen der Füße auf der auf dem Boden liegenden Speisestärke (Silly Putty wird aus Stärke und Wasser gemacht), als würde das zu der schwebenden Musik von Jacob Kirkegaard gehören. Monoton wippt das Wesen auf und ab.Dann sind sie vorne an Zuschauerrampe, die Musik wird dancefloorartig, die Bewegungen der Frauen schneller und discohaft, immer wieder bricht eine kurz aus und tanzt gegen den Strich.

Als „ein auf Ökonomie und Effizienz getrimmtes Kollektive“ bezeichnen sich Dilan Ercenk, Denise und Tessa Temme, Yoshie Shibahara und Sachie Tanaka ironisch, das eine „ultra-homogene Lebensweise“ will. Dann bricht die Individualität ein: Eine stolpert mit Pumps auf die Bühne, posiert aufreizend. Eine andere fällt pittoresk hin - Freiheit ist schwer. Nach und nach schlängeln sich die anderen herein, wie Schlingpflanzen krabbeln sie an der wand entlang, stoßen sich an wie Korallen, stellen sich auf den Kopf an die Wand.

Seltsam eigensinnige Wesen, Frauen mit grotesk verzerrten Weiblichkeitsbildern. Schließlich haben sie sich aus dem Korsett befreit und lassen sich durch die Stärke schlittern wie durch Schnee.

Es ist ein aufregendes, ungewöhnliches Bewegungsrepertoire, das da in der kathedralenartigen Halle der Wachsfabrik zu sehen ist. Schließlich wird über sie zaghaft individuellen Weltversuche der „homogenen Knetmasse“ eine riesenhafte Folie befreitet.

Eine atmosphärisch Dichte, rätselhafte Reise in die Zukunft, die vielleicht schon gestern war. Sehenswert.



Silly Putty

„Silly Putty“ in der Wachsfabrik

von Nicole Strecker
Kölner Stadt-Anzeiger, 09./10. Oktober 2010


Fünf Frauen auf der Bühne. Sie sind hübsch gebaut, tiptop gekleidet, cool - und zu perfekt, um wahr zu sein. Minutenlang bewegen sie die Füße fast auf der Stelle. Der Boden kratzt und schabt wie Schleifpapier, denn der ganze Raum der Kölner Wachsfabrik ist mit Kartoffelstärke bestäubt - wie Mehltau einer menschenfernen Galaxis. Und so seelenlos - schön und automatisiert wie Computeranimationen wirken die Frauen zunächst.

Die Choreografin Yoshie Shibahara und das Damentrio-„ POGOensemble“ haben gemeinsam ein Stück erarbeitet: „Silly Putty“. Beide Gruppen arbeiten in ihren Stücken mit minimalem Bewegungsaufwand- Shibahara mit geschmackssicherer Ernsthaftigkeit, die „Pogos“ mit anarchischem Humor. „Silly Putty“ hat nun erwartungsgemäß beides.

In starken Szenen wird hier feminine Idealität attackiert. Bald bröckelt die anfängliche Perfektion. Eine Frau stolpert herein, ein Goldkollier um ihren Hals zieht sie zu Boden wie die Kette eines Schlachtviehs. Eine andere läuft mit streifen Gelenken immer wieder mit dem Kopf gegen die Wand - stumpf wie ein Aufziehpüppchen, das seine Richtung nicht ändern kann. Extraterrestrische Traumfrauen mit Konstruktionsfehlen.

Eine konsequente Produktion, in deren strenger Ästhetik die Ironie lauert.



W.E.G.

Utopische Ergebnisse

von Nicole Strecker StadtRevue, April 2009

Der Traum von Flug ins All ist so alt wie die Menschheit. - und wird irgendwann mal selbstverständlicher Alltag. Das ist die These der science fiction, und zwar schon seit mindestens einem halben Jahrhundert. In den 80er Jahren, nach dem Start des ersten Space Shuttle, sahen auch wir uns schon bald auf Raumschiff-Parties tanzen und extraterrestrisches Leben erkunden. Zumindest aus letzterem wurde bekanntlich nichts, aber immerhin soll es ab diesem Jahr suborbitale Flüge für Millionäre geben.

Hinterher sieht die Zukunft immer als aus - oder lustig, wie die diversen SciFi-Versuche im Fernsehen. „ Der Unterschied zwischen unsere Vorstellung und der tatsächlichen Entwicklung interessiert mich“, sagte Yoshie Shibahara. Die Kölner Choreografin hat schon in ihren vergangenen Stücken eine eigenwillige Ästhetik entwickelt: Sei es in einer humorvollen Hommage an den japanischen Pop der 70er Jahren oder zuletzt mit einer virtuosen Produktion über das Fast-Unsichtbare, über die Moment, wo Bild sich ins Nichts auflöst. Die poetische Reduktion ist ihre Stärke, die Konzentration eines Bildes auf seine Essenz. Nach einigen Aussagen ist das eine unbewusste Annäherung ab ihre Wurzeln in Japan.

Vor zehn Jahren kam Yoshie Shibahara nach Köln. Schon damals staunte sie bei ihren Fahrten von hier nach Bonn über das Wesselinger Industriegebiete neben der Autobahn. „ Ich fand, die silbernen Gebäude und Rohre sahen wie eine Weltraumstation aus. Es erinnerte mich an ein science-fiction-setting aus meiner eigenen Kindheit in Japan in den 70er Jahren.“ zu ihrer aktuellen Produktion „W.E.G. (World’s End Girlfriends) „, in der sie skurrile Ästhetik früherer Zukunftsvorstellungen zu einer realitätsfernen Fantasiewelt überhöhen will. „Der Ursprung der Produktion war zwar ein bisschen nostalgisch“, sagte sie. „Aber das Ergebnis soll utopisch sein.“ Dabei helfen werden die Videokünstlerin Tessa Knapp und die Musik des dänischen Klangkünstlers Jacob Kirkegaard.



W.E.G.

Yoshie Shibahara „W.E.G.“

Magazin Stadtzauber, April 2009

W.E.G. (World’s End Girlfriends) ist ein intermediales Projekt. Bewegung, Licht, Bild, Raum und Klang kreisen um die Absurdität vergangener Zukunftvisionen und der fiktiven Utopie einer verlassenen Welt.

Inspiriert wurde die japanische Choreografin Yoshie Shibahara durch das Industriegebiete in Köln Wesseling. „Diese Industrielandschaft erscheint mir wie eine Überkommende Science-Fiction-Vision. Zudem ließ diese Realutopie in mir ein Gefühl von Nostalgie aufsteigen, da mir eine Zukunftsvision aus meiner Kindheit wieder begegnete. Dies löst bei der Betrachtung ein starkes Gefühl der Ambivalenz in mir aus.“ (Yoshie Shibahara)

In ihrer Arbeit versucht sie Realitätverschiebungen und die Erscheinung der Fiktion im Alltagsbereich auf Bewegung zu übertragen. Stilisierung und Abstraktion der Bewegungssprache schaffen eine skulpturale Ruhe. Durch raffinierte Flächenaufteilung und Licht-Inszenierung wird eine kühle, künstliche Atmosphäre kreiert.



images volubiles

KURZKRITIK

von Nicole Strecker
Kölner Stadt-Anzeiger, 17.Dezember 2008


Tanz : "images volubiles" in St. Theodor in Köln Vingst - Es ist eisig kalt, man kauert auf schmalen Kirchenbänken, aber während der Leib leidet, ist der Geist in wohlige Sphären entrückt.

Entspannende Unterwassermusik wie in einer Saunalandschaft umspült die Ohren, dann quakt es plötzlich aus der dunklen Tiefe des Raumes als säße man an einem nächtlichen Froschteich. Musiker Frank Schulte hat das Betonrondell von St. Theodor im Stadtteil Vingst in eine faszinierende Klanglandschaft verwandelt.

Die Tänzerin und Choreografin Yoshie Shibahara taucht hinter silbrigen Folie-Fäden als Schemen auf wie eine Unterwasser-Nixe. Immer an der Grenze zur Unsichtbarkeit tanzt Shibahara, verwandelt sich auch dank der raffinierten Licht- und Videobild-Regie von Egbert Mittelstädt in geheimnisvolle Fantasiekreationen.

Eine in allen Medien absolut überzeugende Arbeit, in der sich alles Materielle in purer ästhetischer Abstraktion sublimiert.



images volubiles

Nichts als ein flüchtiges Märchen

von Thomas Linden
Kölnische Rundschau, Dezember 2008


Zarte Installation der Choreografin Yoshie Shibahara in St. Theodor

Yoshie Shibahara hat die Herausforderung schwieriger Raumsituationen angenommen. Großartig agierte sie bereits in der Christuskirche, nun verweist sie mit ihrer neuen Produktion „Images Volubies“ (unbeständiger Bilder) auf das architektonische Kleinod St. Theodor in Vingst - ein faszinierender moderner Rundbau von Paul Böhm.

Die Dynamik der Kirche nahm Shibahara mit ihrem drei künstlerischen Mitstreitern Matthias Mainz (Trompete), Frank Schulte (Elektronikpult) und den Videos von Egbert Mittelstädt in einer wunderbar zart gestalteten Installation auf. Yoshie Shibahara agiert hinter transparenten Kunststofffolien. Nur in Schemen ist sie wahrzunehmen. Mal ist die Linie eines schlanken Arms, mal die Kontur eines Beins, plötzlich die rechte Gesichtshälfte zu sehen.

Dieses Auftauchen und Verschwinden ja mitunter fast Verwehen ihrer Konturen erinnert an flüchtige Märchengestallt, an einen Traum. Zunächst ist das Ambiente farblos, dann schimmern zu dezenten Trompetenklängen Töne von Schwarz, Weiß und Silber auf, bis sich plötzlich einen Lichtkomposition in glühenden Rottönen entfaltet. Die Farbe gerät in Bewegung und mit ihr die Tänzerin. wenn auch stets in bemessenen, genau kalkulierten Bewegungen. Mutig, wie hier mit reduzierten Mitteln agiert wird. So entstehet eine feinsinnige Installation, die Musik, Bild und Tanz wie ein Medium organisch verschmelzen lässt.

Wenn sich die Künstler schließlich zum Applaus des Publikums verneigen, erkennt man im Hintergrund wie Hologramme vier Mal Silhouette von Yoshie Shibahara. Käme jemand erst in diesem letzten Moment in den Raum, könnte er glauben, es seinen nicht eine, sondern gleich fünf Tänzerinnen im roten Kleid in Aktion.



iTribute

„Tribute“ in der Alten Feuerwache

von Nicole Strecker
Kölner Stadt-Anzeiger, 03. Juli 2007


Pink Lady heiß ein Pop-Duo in Japan, das in den 70er Jahren mit westlicher Anmutung (knappe Glitzerkleidchen, eingängige Songs, sexy Choreografien) für Furore sorgte - und damit nicht ganz unschuldig am Werdegang der Choreografin Yoshie Shibahara wurde.

In „Tribute“ erinnert sie sich an die Idole ihrer Kindheit. Gemeinsam mit ihrer Tänzerin Sachie Tanaka trippelt Shibahara in silbrigen Stöckelschuhen und 70er- Jahre-Outfit über die Bühne. Sie wackeln mit den Hüften, strecken die Arme gegen Publikum, schrauben in einem seltsamen Gestus die Hände. Doch bei Yoshie Shibahara kommt das Pop-Zitat erst mal nicht über das Intro hinaus. In endlosem Loop wiederholt sie die Sequenz, bis diese die Formen verliert.

Klug und unprätentiös wie üblich zerlegt Yoshie Shibahara Pop-Posen in ihre Fragmente, zitiert die Körper-Klischees des Showbiz in unterschiedlicher Dynamik oder mit melancholischer statt erotischer Haltung. So decouvriert sie die Tristesse in der vermeintlichen Glamourwelt mit Bildern ihres poetisch-bescheidenen Tanzbühnenkosmos - eine anrührende Retropespektive auf eigene Illusionen und Ideale.



Interview

Liebe zur poetische Reduktion

von Nicole Strecker
TANZ IN KÖLN (3) Kölner Stadt-Anzeiger, Oktober 2006


Ohne überflüssige Schnörkel: Die Choreografin Yoshie Shibahara

So schlecht von sich reden darf nur, wer so schön ist. Yoshie Shibahara ist ihre schärfste Kritikerin, sie weist auf ihre Defizite hin, wo sie nur kann, und das Schlimmste ist: Sie meint es ernst, nicht kokett. Irgendwann verrät sie dann ihr größtes Problem als Choreografen: Sie könne sich nicht verkaufen - aber bis dahin hat man ihr innerlich schon längst ein gutes Management gewünscht. Immerhin hat ihr das „Kleinmachen“ zu einem ganz eigenen Stil verholfen: einem unprätentiösen Minimalismus. Mit winzigen Verschiebungen imitierte sie etwa in ihrer letzten Produktion „Karyatiden“ Gesten und Posen weiblicher Ikonen. Eine Venus-Statue verwuchs in vielen Metamorphosen zu einer bizarr verdrehten Skulptur.

„Ich möchte schlichte, reine Tanzstück machen“, sagt Yoshie Shibahara. „Überall ist so viel Lärm- ich mag die Überflutung nicht: Tänzer, die auch Theater spielen, viel Technik, großes Bühnenbild. Ich selbst bin langsam und kann gar nicht so viel auf einmal wahrnehmen. Deshalb will ich weniger zeigen, dafür effektiv erleben lassen. Intensität mit Zuschauen ist mir wichtig“ Dabei staunt, wie nah sie sich mit ihrer Vorliebe für die poetische Reduktion wieder an ihre japanischen Wurzeln angenähert hat. Denn vor acht Jahren aus einer japanischen Kleinstadt nach Deutschland kam, war ihre Emigration auch eine Rebellion. Sie wollte weg von ihrer ländlich geprägten und kunst-skeptischen Familie, vor der sie ihre Tanzleidenschaft über Jahre verheimlicht hatte. Aber auch von den restriktiven Tanzschulen Japans, in denen sie mit Technikübungen gemartert wurde.

Sie war schon ein paar Jahre in Deutschland, als sie wieder Lust hatte, ein traditionell japanisches Konzert zu besuchen: „Ich habe andere Ohren bekommen durch meine Zeit in Europe, und jetzt hörten sich die traditionellen Instrumente plötzlich wie Experimentalmusik an. das war merkwürdig. „ Solche Verfremdungen nutzt Shibahara produktiv in ihren Stücken.

„Ich will nicht schön-schön machen“ sagte sie resolut und ironisiert Klischees wie das von der asiatischen Femininität. Auch in ihrer neuen Choreographie hält sie wieder ihr persönliches Erleben der japanischen Kultur dagegen. In „KOKAKURE“ möchte sie ein Wesen zwischen Natur und Mensch sein, ein Geist oder Kobold - klein, zart, grotesk und man darf sicher sein: Jeder überflüssige Schnörkel wird ein Opfer choreographischer Selbstkritik.



KOGAKURE

Verabredung unter Bäumen

von Nicole Strecker
Kölner Stadt-Anzeiger, Oktober 2006


Nachtdunkel empfängt der Raum den Zuschauer schon beim Eintritt zu dieser Klang- und Körper-Performance, nun drei große Leinwände leuchten weiß und verheißen Projektionen: filmische, aber auch jene, die allein die Fantasie des Zuschauers zu verantworten hat die das Thema „Wald“ von jener mit sich herumschleppt. Ein merkwürdige bewegter Waldboden im Video von Tessa Knapp läßt Gruselfilme herbeiassoziieren.

Die Tänzerin Yoshie Shibahara schleicht als ästhetisches Wesen über die stets sparsam ausgeleuchtete Bühne. Sie schwingt einen kleinen Lichtkegel um ihren Körper wie ein herumschwebendes Glühwürmschen und hält die zitternden Hände vor das Gesicht wie eine vom Wind bewegte Spinnwebe. Ein Fabelwesen von unnahbarer Schönheit, das als zarter Schatten in irgendeiner Bühnenecke auftaucht, um sacht vom Dunkel wieder verschluckt zu werden.

Dazu erzeugen die beiden Musiker Matthias Mainz und Frank Schulte Käuzchenschreie und Grillengezirpe in elektronischer Verfremdung oder durchbrechen einen pulsierenden Rhythmus durch das Piepen eines Herztons wie aus dem Zufallsgenerator - als gäbe es hier Lebewesen mit fremder Biologie.

Ein Präzise komponiertes Crossover-Projekt, in dem Tanz, Musik und Video einen poetischen Science-Fiction-Wald entstehen lassen, der die Natur zur fernen Erinnerung macht.



KOGAKURE

Schatten über den Bäumen

von Thomas Linden
Kölnische Rundschau, 3. Oktober 2006


Yoshie Shibahara zeigt ihre Tanzperformance „KOGAKURE“

Wie in jedem Lebensbereich haben die elektronischen Bilder auch auf den Tanz- und Theaterbühnen Einzug gehalten. Oftmals haftet ihnen je doch eine inhaltliches Bedeutungslosigkeit an, und stets zieht das Videobild die Konzentration der Zuschauer vom Bühnengeschehen fort auf die Großleinwände hin. Wie eine multimediale Performance gelingen kann, ja zu einem kompakten Kunstwerk verschmilzt , demonstrierte jetzt die Produktion „KOGAKURE“ in der Alten Feuerwache.

Der Titel stammen aus alter japanischer Dichtung und bezeichnet sich das Verschwimmen eines Bildes durch die Bewegung. die zwischen den Schatten der Bäume im Walt entsteht. Videokünstlerin Tessa Knapp lässt sich beim Entwurf ihrer Bilder auf die kurten, gemessenen Bewegungen der Tänzerin Yoshie Shibahara ein, die stet zwischen Ruhe und Aktion pendeln. Zeit wird so konzentriert und lustvoll spürbar.

Den Raum, in dem sich dieses Spiel von Licht und Körper abspielt, schaffen die beiden Musiker Matthias Mainz und Frank Schulte mit ihrem Kompositionen. Mainz liefert ein Pendant zu Shibaharas Gesten, zart und zugleich entschieden werden Klänge und Bewegungen gesetzt. Sanft und schneidend klingt deine Vierteltrompete. Frank Schulte nimmt diese Akzente auf und unterfüttert die dezent, aber wirkungsvoll mit elektronischen Klangimpulsen.

Alles bildet hier transparent, vom Stoff des Tanzkleides über die wie Bleistiftskizzen hingehauchten Videobilder, der Einsatz der Trompete und der elektronischen Klangmuster- aber nichts verliert sich im Ungefähren. Vier künstlerische Statements, die sich zu einem in seiner ästhetischen Reife beeindruckenden werk vereinigen.



Karyatiden

Gefrorenen Gesten antiker Damen

von Thomas Linden
Kölnische Rundschau, 09. Februar 2006


Fremdartig schön: Yoshie Shibahara neue Choreografie „Karyatiden“

Mit ihrer Fremdheit zieht die strenge japanische Ästhetik uns in Bann. Yoshie Shibahara, die 2004 den Kölner Tanztheaterpreis gewann, behaart in ihren Produktionen auf dieser Fremdheit. Einer Ästhetik die nach westlichen Verständnis Geschichten erzählt und die Welt da draußen in tänzerischer Bilder zu übersetzten versucht, verweigert sie sich konsequent. Welche produktive Distanz dieses Beharren auf einer eigenen Formensprache erzeigen kann, demonstrierte sie jetzt in der Feuerwache mit ihrer neuen Choreografie „Karyatiden“.

Wie festgewachsen stehen zwei Tänzerinnen in bodenlangen Gewändern und bewegen die Hüfte oder die Arme. Dann wechseln plötzlich die Postionen und scheinen wieder zu gefrieren. Erst allmählich wird die feine Rhythmisierung dieser Tanzfigueren deutlich. Zunächst scheinen die beiden Körper nichts als Zeichen zu sein, die nach einem rätselhaften Muster in Bewegung versetzt werden.

Karyatiden sind jedoch antike weibliches Statuen, und bei genauem Hinschauen sind uns diese Gestallten gar nicht so fremd - manche sehen wie die Göttin Shiwa aus, mit Armen, die wie Tentakel ausgestreckt sind, andere erinnern eben an antike europäische Statuen. Die Karytiden wurden als tragende Säulen in archtektonische Ensembles integriert, ihr Körper ist gestreckt.

Die Tänzerinnen Yoshie Shibahara und Sachie Tanaka agieren völlig zurückgenommen, ihr langes Haar ist sogar so frisiert, dass man ihre Gesichter nicht erkennen kann, sie wirken graziös und anonym.

Faszinierend gelingt es Yoshie Shibahara mit Eliminierung aller schauspielerischen Ansätze, den Körper mit diesen dezenten, aber sehr wirkungsvollen Gesten wieder bewusst zu machen. Vier Finger legt sie auf die Hüfte, und sofort erkennt man ein unverwechselbar weiblichen Bewegungsrepertoire. Dass dies vielleicht nur Teil eines Kulturell festgelegten Bildes von Weiblichkeit ist, zeigt diese elegante Choreografie aber auch.



Karyatiden

Hüftknick der Venus

von Nicole Strecker
Kölner Stadt-Anzeiger, 07.02.06


Zwei Frauengestallten zeichnen sich langsam im Halbdämmer der Bühne ab. Man meint, sie in Rückenansicht zu sehen, denn ein dichter Vorhang ihrer nach vorne gekämmten Haare verhüllt ihre Gesichter. Eine erste Irritation im neuen Tanzstück der Kölner Choreografin Yoshie Shibahara in der Alten Feuerwache: „Kayatiden“, so der Titel, also weibliche Staturen, die anstelle von Säulen als Gebälkstützen in antiken Bauten dienten.

Gesten und Handlungen von Skulpturen werden von Shibahara zitiert und raffiniert verfremdet. Der verführerische Hüftknick einer Venus etwa - bei Shibahara und ihre Tänzerin Sachie Tanaka verschiebt sich sie bekannte Pose durch Übertreibung in die Abstraktion. So konzentriert wie beim japanischen Butoh-Tanz lässt die choreografin unpassende Bewegungselemente aufeinander treffen und überrascht immer wieder durch minimale Stilisierungen.

Kein Fingerzucken ist unkalkuliert in dieser formbewussten und hochkontrollierten Performance. Ein faszinierendes Tanzstück - beeindruckend in seiner Konsequenz, provokant in seinem Purismus.



Isa – ultima thule

Laudatio Kölner Tanztheaterpreis 2004

von Isabell Steinbock

Isa- ultima thule“, die Choreografin von Yoshie Shibahara, ist eine außergewöhnlich Arbeit in der tradition japanischen Zen-Garten Philosophie.

Yoshie Shibahara gelingt es, als Choreographin eine archaische Atmosphäre zu vermitteln, und dabei auch als Tänzerin zu überzeugen. Dabei widmet sie sich der Ursubstanz alles Lebensdingen - einer Welt, die bis Jenseits reicht und der eine schlichte, reine Schönheit zu Grunde liegt.

Dargestellt wird dies in langsamen, präzise ausgearbeiteten Bewegungen ebenso wie durch Bühnenbild und Kostüme, die sich, in schlichten Weiß gehalten, konsequent in die transzendentale Stimmung fügen.

Vier Tänzerinnen verkörpern animalische Ursprünglichkeit. Mit synchronen Bewegungen schiene sie sich langsam über die Bühne, ohne dabei an Spannung zu verlieren. Abgelöst wird die Ruhe durch japanische Videoclipästhetik. Der Mensch erscheint hier im Gegensatz zur Technik, die Natur wird zum rettenden Anker in einer entpersönlichen Welt.

Yoshie Shibahara sucht das Menschliche im Zeitalter 21. Jahrhunderts und schafft dabei eine geradezu rührende Atomsphäre. Dass die japanischen Wurzeln der Künstlerin sichtbar werden, verleiht den Stück ganz eigenen Charme und sorgt dafür, dass die Choreografie bis zum Schluss trägt. Dabei ist es die Spannung zwischen der Ruhe einer alles umfassenden Weltordnung und dem bunten Treiben moderner Unterhaltungstechnologie, die die Choreografie so eindrucksvoll macht.



Isa – ultima thule

Versuchslabor

von Nicole Stecker
Kölnische Rundschau, 04.11.04.


Yoshie Shibaharas raffinierte Choreografie für „Tanzhautnah“

„Isa-ultima thule“ lautete der mystische Titel, und wenn auch keines der Rätsel dieser Choreographie such am Ende auflöst - verblüffend ist das Experiment doch.

Laborweiß sind der Bühnenraum und Kostüme, und in dieser kühlen Versuchsatomosphäre variieren die vier Tänzerinnen (Dilan Ercenk, Gitta Roser, Sachie Tanaka, Yoshie Shibahara) ihre Bewegungen zwischen technischen, tierhaften und dann wieder sehr theatral-menschlichen Aktionen. Stelzen die Tänzerinnen zu Beginn wie eine Ironisierung der Ikone des klassischen Ballettes - das Schwans - durch den Raum, so schleinen sie anschließend in ein seltsames Klinikum geraten zu sein.

Wie eine Apparatur zur Bestimmung der Herzfrequenz signalisieren sie minimales Leben in Kopfzuckungen und Handbewegungen. Doch so unprätentiös die auch sind- sie sind perfekt und detailgenau aufeinander choreografiert und fordern mit minimalsten Differenzen den Zuschauer immer wieder intellektuell heraus. Gegen solche unterkühlte Abstraktion setzt die Choreografin Yoshie Shibahara dann unvermittelt tanztheatrale Poesie, wenn sie zwei Tänzerinnen in ein zartes Duett verflicht.

Für Kitsch jedoch ist dieses Stück zu klug. So kommt man letztlich mit Interpretationen nicht zu weit bei Yoshie Shibahara heterogenem Stück. Dafür führt die junge Choreografin mit erstaunlicher Raffinesse vor, wie produktiv unterschiedlichste Traditionen zueinander in Spannung gesetzt werden können.



Blut und Wasser

Zwei unheimliche Schwestern mit Blut und Wasser

von Basil Nikitakis
Kölner Stadt-Anzeiger, 10. April 2003


In der Reduktion liegt manchmal eine erstaunliche Kraft.

Im Stück „Blut und Wasser“ stehen Yoshie Shibahara (Choreografie) und Sachie Tanaka wie zwei unheimliche Schwestern im scharfen Scheinwerferlicht Schultern am Schulter. Ihre Gesichter sind ausdruckslos wie Masken, nur Hände schießen aus dem Raum zwischen ihren schwarzen Nadelstreifen-Jacketts wieder und wieder hervor. Gezeigt wird der Wechsel von Widerstand und Aufgabe, von Getrennt - und Zusammensein. Wenn die beiden Tänzerinnen roboterhaft über die Bühne laufen, bricht Tanaka immer wieder seitlich weg und sinkt auf den Boden.

Spannung liegt zwischen allem, was sie tun. Beide wirken zu jedem Zeitpunkt wie extreme Aspekt einer schizoiden Persönlichkeit. Und weil Choreografin die wenigen eingesetzten Mittel perfekt platziert, ist „Blut und Wasser“ so unspektakulär wie intensiv.